top of page

Interview

Muskeldystrophie Duchenne

"Wir lassen unser Leben nicht von der Krankheit dominieren!"
 

 

"Hallo liebe Rika schön, dass du Zeit gefunden hast an unserer Interviewreihe mitzumachen."

"Hallo liebe Denise, ich mache sehr gerne mit. Vielen Dank für euer Interesse an der Krankheit und euer Engagement."

"Dein Kind Kian kam mit Muskeldystrophie duchenne zur Welt, richtig?"

"Ja, das stimmt."


"Wann habt ihr es erfahren?"

"Ich habe schon sehr früh das Gefühl gehabt, dass mit Kian etwas nicht stimmt. Seine motorische Entwicklung war verzögert und er hatte wenig Körperspannung. Immer wieder wurden wir von Ärzten vertröstet, dass jedes Kind sich anders entwickeln würde und wir uns keine Sorgen machen sollten.
Mit drei Jahren ließen wir Kian im Sozialpädiatrischen Zentrum untersuchen, wo schnell die Ursache für die Verzögerung der Entwicklung gefunden wurde. Die Ärzte hatten hier mehr Erfahrung und konnten die Zeichen gut deuten. Schon einen Tag später wurde der Verdacht bestätigt, nachdem eine Blutuntersuchung durchgeführt wurde."


"Kannst du genau erklären was das ist?"

"Muskeldystrophie Duchenne ist nach dem französische Arzt Guillaume B. Duchenne benannt, der diese Krankheit im Jahr 1868 erstmals beschrieb. Die Erbkrankheit betrifft durchschnittlich einen von 3500 Jungen. Das Protein Dystrophin, das auf dem X-Chromosom liegt, ist für die Stabilität der Membran der Muskelfasern unerlässlich. Fehlt der Eiweißstoff, verschiebt sich der sogenannte „Leserahmen" des genetischen Codes. Die Krankheit bricht zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr aus. 90 Prozent der Patienten können mit etwa zehn Jahren nicht mehr laufen, später versagen die Arme ihren Dienst. Danach werden auch Herz- und Atemmuskulatur angegriffen. Letztlich endet diese Muskeldystrophie im jungen Erwachsenenalter immer tödlich."


"Wie war die Zeit nach der Geburt?"

"Die Zeit nach der Geburt bis hin zu der Diagnose mit drei Jahren war eigentlich schwerer auszuhalten als die Zeit nachdem die Diagnose feststand. Es war ein ständiges auf und ab zwischen Sorge und dem Gefühl, dass man sich Sorgen um etwas macht, was vielleicht völlig normal ist und man es sich nur einbildet."


"Mit welchen Einschränkugen müsst ihr klarkommen und was wird auf euch zukommen?
(Kann man sowas prognostizieren?)
"

"Die Mehrzahl der Kinder mit Duchenne Muskeldystrophie ist bei Geburt und in den ersten Lebensjahren weitgehend unauffällig, allerdings hat ein Teil der Kinder eine verzögerte Sprachentwicklung oder Autismus. Im Alter von 3 bis 6 Jahren entwickeln Kinder mit Duchenne Muskeldystrophie ein auffälliges Gangbild (Watscheln), Schwierigkeiten mit dem Treppensteigen und verlangsamtes Aufstehen vom Boden, und können nicht so schnell und ausdauernd rennen wie andere Kinder. Diese Symptome sind auf die einsetzende Schwäche der Hüft- und Oberschenkelmuskulatur zurück zu führen. Dazu kommt häufig eine Verkürzung der Achillessehne (Kontraktur) mit Spitzfusstellung. Die Gehfähigkeit nimmt im Verlauf weiter ab, die meisten Kinder sind ab dem 10 bis 13. Lebensjahr auf den Rollstuhl angewiesen. Bei den Jugendlichen setzt dann eine Schwäche der Arme und teilweise auch eine Verbiegung der Wirbelsäule ein. Bei den Jugendlichen und Erwachsenen mit Duchenne Muskeldystrohie zeigt sich eine  Schwäche der Atemmuskulatur in einem schwachen Hustenstoß, gehäuften Atemwegsinfekten, Schlafstörungen, Abgeschlagenheit und morgendlichen Kopfschmerzen. Eine Schwäche der Herzmuskulatur kann zu Herzrasen und Kurzatmigkeit führen.
Noch zeichnet sich für DMD kein Heilmittel ab. Insgesamt jedoch hat sich die Lebenserwartung der Patienten in den vergangenen Jahren verbessert. Lag sie vor 20 Jahren noch bei 15 Jahren, so beträgt sie mittlerweile etwa 30 bis 40 Jahre."

"Gibt es Behandlungsmöglichkeiten?

Der Kampf gegen DMD ist eine Herausforderung für Forscher rund um den Globus. Forscherteams, vor allem in den USA, Niederlande, Großbritannien und Frankreich, arbeiten seit Jahren an neuen Therapiemöglichkeiten. Bisher jedoch gelingt es nur, ihn zu verlangsamen. Zum Beispiel mit Hilfe von Cortison, um die Entzündungen im Muskel zu hemmen."


"Wie ist euer Familienleben und welche Rolle spielt der Gendefekt dabei?"

"Wir haben insgesamt drei Söhne und erwarten im Sommer unser viertes Kind. Wir lassen unser Leben nicht von der Krankheit dominieren und versuchen den Alltag so zu meistern wie die meisten Familien.
Wir genießen die schönen gemeinsamen Stunden und freuen uns über jeden Tag, an dem es Kian gut geht. Manchmal sind wir traurig, wenn Kian zum Beispiel Geburtstag hat. Dann wird uns bewusst wie schnell die kostbare Zeit, die wir gemeinsam haben, vergeht. Andererseits können wir auch nicht in die Zukunft blicken und setzen ganz viel Hoffnung auf die Medizin. Die Forschung schreitet voran. Allerdings ist es wichtig, dass viele Leute, Jungs wie Kian unterstützen, denn die Forschung arbeitet nur an Projekten, die sich letztlich in Form von neuen Medikamenten ausgezahlt machen. Es ist wichtig, dass die Krankheit bekannt gemacht wird und wir von vielen Menschen unterstützt werden."

"Wie geht euer Umfeld mit euch um?"

"Wir haben ein tolles soziales Netzwerk bestehend aus vielen Freunden. Unsere Familien sind ebenfalls immer für uns da und unterstützen uns, wo sie nur können. Kian ist sehr gut integriert und hat tolle Kinder in seiner Umgebung, die ihn so nehmen wie er ist. Das weitere Umfeld bestehend aus Schule, Hort, Schulbegleiter, Therapeuten, Kinderchor und neuerdings auch der Kinderfeuerwehr, runden es noch ab. Wir haben das Glück in einer Gegend zu leben, wo wir überwiegend mit positiver Rückmeldung konfrontiert werden.
Es gibt jedoch auch intolerante Menschen. Als Kian noch keinen Rollstuhl hatte, mussten wir oft mit unfreundlichen Kommentaren rechnen, warum denn dieses große Kind noch im (Reha-) Buggy sitzt. Mittlerweile sind wir mit dem Rolli unterwegs und die Menschen machen Platz oder lächeln Kian an. Das ist natürlich super. Wir wünschen uns allerdings, dass sie lächeln, weil sie Kian sympathisch finden und nicht aus Mitleid mit ihm, weil er im Rollstuhl sitzt."


"Wie verbringt ihr die Freizeit?"

"Unsere Freizeit ist immer sehr gut gefüllt. Unsere Kinder sind alle sehr aktiv und machen alle 1-2 Sportarten und zusätzlich Musik. Da sind wir sehr eingebunden. Der Sonntag ist bei uns von daher immer für die Familie reserviert. Hier unternehmen wir alle gemeinsam etwas, gehen in die Natur, treffen Freunde, gehen ins Theater, Kino, Museum, Schwimmen oder faulenzen zu Hause. Das ist uns allen wichtig. Ebenso die gemeinsame Mahlzeit am Abend. Wir verreisen auch sehr gern und versuchen uns in den Ferien Zeit dafür zu verschaffen. Auch wenn es nur ein Kurztrip in der Nähe ist, versuchen wir es irgendwie möglich zu machen. Das tankt uns auf für die Hürden des Alltags."

"Was wünscht ihr euch für die Zukunft?"

"Wir wünschen uns, dass die Forschung mit großen Schritten voranschreitet und es bald eine Möglichkeit gibt für alle Duchenne-Patienten, dass sie ein gutes Leben führen können, die Lebensdauer sich noch mehr verlängert und die Jungs ein glückliches Leben führen können.
Für Kian wünschen wir uns, dass er in seinem Leben vielen Menschen begegnet, die ihm positive Energie geben und ihn so akzeptieren wie er ist."

 

 

"Wir wünschen Kian und seiner Familie alles Gute, viel Kraft und eine wunderbare Familienzeit! Vielen Dank für dieses offene Interview und auch ein herzlichen Dank an die liebe Denise, die dieses Interview geführt hat!"

"Wir genießen die schönen gemeinsamen Stunden und freuen uns über jeden Tag, an dem es Kian gut geht."

Kian ist sehr gut integriert und hat tolle Kinder in seiner Umgebung, die ihn so nehmen wie er ist.

Wir haben das Glück in einer Gegend zu leben, wo wir überwiegend mit positiver Rückmeldung konfrontiert werden.

Trisomie 18 - wohl eine der schwersten Diagnosen, die man in der Schwangerschaft erhalten kann.
 

Nadine: "Hallo Jens, schön, dass du Zeit gefunden hast an unserer Interviewreihe mitzumachen.
In der Schwangerschaft habt ihr erfahren, dass euer Kind Trisomie18 hat.
Kannst du genau erklären was dieser Gendefekt ist und bedeutet?"


Jens: "Es ist wohl eine der schwersten Diagnosen, die man im Laufe seiner Schwangerschaft zu hören bekommen kann. Während die Trisomie 21 weit bekannt ist, haben von der Trisomie 18 die wenigsten gehört. Leider ist es bis heute so, dass Kinder mit einer Trisomie 18 als nicht lebensfähig bezeichnet werden. Es stimmt, dass ein großer Teil der Kinder während der Schwangerschaft, unter der Geburt oder innerhalb der ersten Lebenswochen versterben. Ausnahmen bestätigen hierbei die Regel. Wie sich ein Kind mit einer Trisomie 18 entwickelt, ist leider nicht abzusehen. Die „Ausnahmekinder“ haben in der Regel alle dieselben Prognosen wie Kinder, die leider sehr schnell verstorben sind, erhalten. Es gibt nicht „die“ Trisomie 18. Ähnlich wie es auch von der Trisomie 21 bekannt ist, sind Entwicklung und Verlauf in den meisten Fällen nicht vorhersehbar.

Auch bei einer Trisomie 18 gibt es verschiedene Arten. Die am häufigsten auftretende ist dabei die freie Trisomie 18. Diese betrifft jede Körperzelle und hat damit die schwersten Auswirkungen. Eine freie Trisomie 18 ist nach den heutigen medizinischen Grundlagen keine vererbbare Form und tritt zufällig auf. Es gibt keine Erkenntnisse warum dies geschieht. Bei den anderen Formen, der Mosaik, Translokations und Partiellen Trisomie 18 sind die Ausprägungen teilweise weniger schwer. Gerade bei der Mosaik Trisomie ist es stark davon abhängig, wie viele Körperzellen betroffen sind. Aber auch hier wird eine genaue Prognose für das Kind sehr schwer. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Kinder mit der freien Trisomie 18 eine schlechtere Prognose haben als bei den anderen Erscheinungsarten. Sollte das Ungeborene eine der anderen aufweisen, so ist es am besten, sich mit einem erfahrenen Humangenetiker weiter in Verbindung zu setzen. Bei diesen Formen kann es durchaus vorkommen, dass sie vererbbar sind.

Es gibt Studien, die belegen, dass eine Trisomie 18 mit einem überdurchschnittlichen Alter der Mutter verhäuft auftreten. Das heißt aber noch lange nicht, dass jüngere Frauen in der ersten Schwangerschaft diese Diagnose nicht gestellt bekommen können. Es gibt also keinen Grund sich in irgendeiner Art und Weise Vorwürfe zu machen. Eine Trisomie 18 kann leider jeden treffen."

 


Nadine: "Wie waren eure ersten Gedanken und Gefühle nach dem Erhalt der Diagnose?"


Jens: "Die Diagnose traf uns wie ein Hammer. Der Gynäkologe meiner Frau hatte ja schon erwähnt, dass mit dem Herzen etwas nicht in Ordnung zu sein schien, aber als wir das Ergebnis der Fruchtwasseruntersuchung mitgeteilt bekamen, war es, als wenn uns jemand den Boden unter den Füßen wegzog. Wir standen unter Schock und wussten beide erst einmal nicht, was wir denken sollten. Wir hatten bis zu dem Zeitpunkt noch nie etwas von Trisomie 18 gehört. Immer wieder hallte in unseren Köpfen der eine Satz der Pränataldiagnostikerin nach: „Ihr Kind wird nicht lebensfähig sein!“"


Nadine: "Wie war der weitere Verlauf der Schwangerschaft?"


Jens: "Nach dem Erhalt der Diagnose mussten wir eine Entscheidung treffen. Abbruch oder Austragen? Um ehrlich zu sein, war unsere erste Entscheidung der Abbruch. Wir konnten uns einfach nicht vorstellen, wie wir die nötige Kraft für ein behindertes Baby aufbringen können. Doch je länger wir uns mit dieser Frage beschäftigt haben, desto größer wurden die Zweifel, ob der Abbruch wirklich die richtige Lösung für uns ist. Und wie aus heiterem Himmel stand auf einmal meine Frau vor mir, blickte mir tief in die Augen und sagte: „Ich werde das nicht tun! Ich werde unser Baby austragen!“ Es war, als wenn jemand einen Schalter umgelegt hat. Ab diesem Zeitpunkt stand die Entscheidung für uns fest."

Wir haben uns zuhause eingeigelt. Es fiel uns sehr schwer auf die Strasse zu gehen und sich den neugierigen Fragen von Nachbarn und Bekannten zu stellen. Ausser unseren Familien und engsten Freunden haben wir niemandem von der Diagnose erzählt. Zu dieser Zeit fühlten wir uns einfach nicht stark genug, jedem zu erzählen, dass wir leider keine normale Schwangerschaft erleben dürfen, und uns den mitleidenden Blicken aussetzen zu müssen."


Nadine: "Wie war die Zeit nach der Geburt?"


Jens: "Als wir nach der Geburt feststellen konnten, dass Silvana lebt, waren wir sehr glücklich. Es war unser größter Wunsch, dass sie sich lebend für uns auf die Welt kämpft und diesen Wunsch hat sie uns erfüllt. Wir durften unser viertes Kind in den Armen halten. Leider wurde noch am selben Abend festgestellt, dass ihre inneren Organe so sehr fehlgebildet waren, dass sie nicht lange bei uns bleiben könnte. Wir haben jede einzelne Minute mit ihr intensiv genossen und hatten sogar die Möglichkeit, auf der Intensivstation wunderschöne Familienfotos zusammen mit allen vier Kindern machen zu lassen. Das war der emotionalste Moment, denn uns war klar, dass unsere drei Großen ihre kleine Schwester dort zum ersten und leider auch einzigen Mal sehen würden. Silvana hat uns 49 wertvolle und intensive gemeinsame Stunden geschenkt. Am Tage ihres Todes wurde sie getauft und danach befreit von allen Geräten und Schläuchen in unsere Arme gelegt. Sie hat es sehr genossen und uns noch fünf Stunden Kuschelzeit geschenkt. Kurz bevor sie ihren letzten Atemzug nahm, haben wir zu ihr gesagt, wie sehr wir sie lieben und dass sie jetzt gehen dürfe. In eine Welt ohne Krankheiten und voller Liebe. Es war, als wenn sie noch auf unsere Erlaubnis gewartet hätte, denn nur wenige Augenblicke später ist sie in meinen Armen für immer eingeschlafen. Silvana hat in jeder Sekunde ihres Lebens unendliche Liebe erfahren und tut es jetzt in unseren Herzen weiterhin."

 
Nadine: "Dann passierte das Unvorstellbare, richtig? Wart ihr irgendwie darauf „vorbereitet“? Wie konntet ihr damit umgehen?"

 

Jens: "Eine echte Vorbereitung darauf, sein eigenes Baby gehen lassen zu müssen, gibt es wohl nicht. Für uns war es gut, schon früh während der Schwangerschaft zu wissen, was uns erwartet. Ich glaube, wenn wir erst nach der Geburt von der Trisomie 18 erfahren hätten, hätte uns der Schlag noch viel härter getroffen. So konnten wir uns bereits während der Schwangerschaft intensiv mit der Diagnose auseinander setzen. Wahrscheinlich waren wir auch deshalb so stark und gefasst, als Silvana 49 Stunden nach ihrer Geburt wieder zu den Sternen gereist ist. Wir waren mit all unseren Entscheidungen im Reinen, Silvana hat während und nach der Schwangerschaft unendlich viel Liebe von uns erfahren dürfen und somit konnten wir einigermassen gut damit umgehen, als das Unvermeidbare eintraf.

Außerdem habe ich mich in dem Internetforum „Weitertragen e.V.“ angemeldet. Es waren nur noch zwei Wochen bis zum ET und ich hatte das dringende Bedürfnis, mich mit Eltern auszutauschen, die das gleiche oder ähnliches erlebt haben. Das war wirklich die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. In diesem wunderbaren Forum bin ich auf Menschen gestossen, die mir in dieser schweren Zeit Halt und Trost gaben und mir durch ihre eigenen Erfahrungsberichte auch ein wenig die Angst vor der bevorstehenden Geburt und unserem Abschied von Silvana nehmen konnten. Heute ist es mir ein dringendes Bedürfnis und auch eine Art Trauerbewältigung, durch meine Erfahrungen wiederum anderen, neu betroffenen Eltern diese wertvolle Unterstützung zu geben, die ich während unserer schwersten Zeit erhalten durfte."
 
 
Nadine: "Wie hat sich euer Familienleben seitdem geändert?"


Jens: "Die ganze Geschichte mit Silvana hat meine Frau und mich noch viel enger zusammen geschweißt. Wir haben von Anfang an ganz fest zusammen gehalten und uns immer wieder gegenseitig Kraft gegeben. Aus anderen Erfahrungsberichten weiss ich, dass solch eine Extremsituation auch schon viele Ehen hat zerbrechen lassen. Daher sind wir sehr dankbar, dass Silvana uns so viel Kraft gegeben hat, damit wir unsere Beziehung sogar noch festigen konnten. Meine Frau und ich haben uns gegenseitig nach Silvanas Tod auch immer die Art der Trauer des Partners zugestanden. Das ist ganz wichtig, auch wenn wir eine sehr ähnliche Art zu trauern haben.

Silvana ist in unserem Familienleben fest integriert. Auch unsere 3 Kinder beziehen sie immer wieder in ihr Leben mit ein, malen Bilder oder basteln Kerzen für ihren Sternengeburtstag. Sie wird bei uns allen niemals in Vergessenheit geraten und ab und zu schickt sie uns auch immer mal wieder ein kleines Zeichen."

 


Nadine: "In der Zeit nach Silvanas Tod, gab es etwas, was du dir von den Menschen in eurem Umfeld gewünscht hättest, etwas, was diese Menschen hätten besser machen können?"


Jens: "Verständlicherweise herrscht im Umfeld eine große Unsicherheit, wie man auf eine trauernde Familie zugehen soll. Dort die richtigen Worte zu finden ist sehr schwer und erfordert viel Fingerspitzengefühl. Das erkennt man sehr gut an Kommentaren wie z.B. „Ihr habt ja noch drei gesunde Kinder“, „Ihr seid ja noch jung, versucht es einfach nochmal“ oder auch „Warum trauerst du immer noch, es ist doch schon drei Monate her?“ Das sind Kommentare, die trauernden Eltern sehr weh tun. Deswegen sagen die meisten Menschen lieber erst gar nichts und meiden den Kontakt. Genau aus diesem Grund finde ich die Öffentlichkeitsarbeit sehr wichtig, um das Schweigen zu brechen und der Gesellschaft zu erklären, was uns gut tut. Dazu gehört zum Beispiel neben den Beileidsbekundungen auch ein Glückwunsch zur Geburt oder einfach nur die Gewissheit, dass wir in ihren Gedanken sind. Das ist auf jeden Fall hilfreicher als vom Umfeld aufgrund von Unsicherheit ignoriert zu werden."

 
Nadine: "Wie kam es  dazu die Trisomy18.eu zu gründen und was wünscht ihr euch für die Zukunft?"


Jens: "Wie oben beschrieben, ist es mir ein dringendes Bedürfnis und auch Trauerbewältigung, über Trisomie 18 aufzuklären und andere Eltern auf diesem schweren Weg zu begleiten. Daher habe ich mit einer betroffenen Mutter aus Frankfurt zusammen getan und das Netzwerk "Trisomy18.eu" gegründet. Ihre Tochter hat auch die freie Trisomie 18 und lebt schon 26 Monate. Somit können wir auf unserer Seite auch aus eigener Erfahrung vermitteln, wie ein Leben mit einem T18-Kind aussehen kann."

Mit unserem Netzwerk haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, über Trisomie 18 aufzuklären und betroffenen Eltern Mut zu machen und sie auf ihrem Weg zu begleiten. Ausserdem wünschen wir uns, dass dieser Gendefekt und auch das Thema "Infauste Diagnose in der Schwangerschaft" in der Öffentlichkeit bekannter wird und nicht mehr als Tabuthema behandelt wird. Aber um dieses Ziel zu erreichen, ist es noch ein sehr langer Weg. Daher freuen wir uns auch, wenn Nichtbetroffene zu uns finden und sich über Trisomie 18 informieren."

 


Nadine: "Kannst du im allgemeinen sagen mit welchen Einschränkungen ein ungeborenes von Anfang an zu kämpfen hat und wie die Erwartungen und Diagnosen so sein können?"

 

Jens: "Nein, allgemein kann man das nicht sagen. Jedes Kind ist anders, kann unterschiedliche Fehlbildungen und somit auch unterschiedliche Lebenserwartungen haben. Laut Statistik sterben 80% der Kinder schon vor oder während der Geburt. Die restlichen 20% haben eine Lebenserwartung von höchstens wenigen Wochen. Aber wie immer bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel. Ich persönlich kenne Kinder mit einer freien Trisomie 18, die bereits das Jugendalter erreicht haben. Dies sind aber wenige Ausnahmen und echte Wunderkinder."


Nadine: "Gibt es Behandlungsmöglichkeiten?"


Jens: "Eine Trisomie 18 bedeutet nicht zwingend, dass das Kind auch auf Medikamente angewiesen ist. Einige Kinder brauchen welche, andere wiederum nicht. Dies hängt in erster Linie mit den Beeinträchtigungen und Bedürfnissen des jeweiligen Kindes zusammen. Die Erkrankung Trisomie 18 an sich verursacht keine Schmerzen. Manche Kinder brauchen Medikamente wegen des Herzfehlers, Epilepsie oder anderer organischer Fehlbildungen."

 
Nadine: "Was würdest du anderen Eltern in dieser Situation raten?"


Jens: "Es steht mir nicht zu, anderen Eltern eine Entscheidung aufzuzwängen. Jedes Elternpaar muss nach Erhalt solch einer Diagnose selbst entscheiden, welches der richtige Weg für sie ist. Objektiv gesehen gibt es da auch kein richtig oder falsch. Ich möchte nur jedem raten, sich ausreichend Zeit für eine Entscheidung zu nehmen und genau abzuwägen, welches der subjektiv richtige Weg ist. Sehr oft werden die Eltern von den Pränataldiagnostikern sofort zu einem Abbruch gedrängt. Es gibt die gesetzlich vorgeschriebene Dreitages-Frist, in der nach Erhalt der Diagnose kein Abbruch stattfinden darf, um den Eltern die Möglichkeit zu geben, sich Zeit für eine Entscheidung zu nehmen. Meiner Meinung nach ist dieser Zeitraum viel zu kurz, da die Eltern mindestens diese Zeit benötigen, um sich vom ersten Schock zu erholen, bevor sie sich rationelle Gedanken über eine Entscheidungsfindung machen können. Ausserdem empfehle ich, sich mit Gleichbetroffenen auszutauschen. Durch Erfahrungen, die andere Eltern gemacht haben, kann man viele wertvolle Informationen zur eigenen Situation sammeln. Daher möchte ich gerne allen Betroffenen das Forum „Weitertragen e.V.“ ans Herz legen. Ohne die Hilfe und Kraft der anderen Mitglieder dort hätte ich die schwere Zeit wohl nicht durchgestanden.

Und selbstverständlich würden wir uns freuen, wenn betroffene Eltern auch zu unserem Netzwerk "Trisomy18.eu" finden. Dort werden sie aufgefangen und behutsam auf ihrem Weg begleitet."

 

 

Nadine: "Lieber Jens, wir danken dir von ganzem Herzen für diese sehr offene und auch ergreifende Interview. Wir sind uns sicher, dass ihr damit vielen anderen Familen sehr helfen werdet!"

 

Die kleine Silvana durfte ihrer Familie 49 wertvolle und intensiv gemeinsame Stunden schenken.

Silvana ist im alltäglichen Familienleben fest integriert.

Ein kleines Mädchen wird mit einem sehr seltenen Gendefekt geboren, hier beantwortet uns eine sehr tapfere Mama einige Fragen:
 

Nadine: „Hallo Maria, schön, dass du Zeit gefunden hast bei unserer Interviewreihe mitzumachen. Deine kleine Tochter kam mit dem Shprintzen Goldberg Syndrom zur Welt.
Wann habt ihr es erfahren?"

 

Maria: "Rosalie Marie wurde am 25.11.2011 geboren. Die Schwangerschaft verlief ganz normal und es wurden keine Auffälligkeiten gefunden. Deswegen war der Schock groß . Die Diagnose lautete "Ungeklärtes Fehlbildungssyndrom mit Pierre Robin Sequenz, Gaumenspalte, Arachnodaktylie und und und. Ich kann das mittlerweile gar nicht mehr alles aufzählen.
Niemand konnte etwas mit all diesen Fehlbildungen anfangen. Im September 2013 wurde Rosalies Gaumen verschlossen in Berlin. Ich bat die Ärzte auf der Intensivstation mal eine Genetikerin kommen zu lassen. Und es kam auch spontan eine Genetikerin. Wir glaubten nicht daran, dass wir je einen Namen für Rosalies Gendefekt finden würden, doch Frau Dr. Horn schaute, stellte zwei, drei Fragen und murmelte: "Ich habe eine Vermutung. Ich komme gleich wieder!" Was wären wir baff. Nach zwei Stunden kam Sie wieder und strahlte uns an. "Ihre Tochter leidet am Shprintzen Goldberg Syndrom! Ganz genaue Klarheit bringt nur eine DNA Analyse." Sie klimperte mit zwei Ampullen. Während Sie Rosi Blut abzapfte sagte sie nur, dass sie auf dieses Syndrom kam, weil Sie bereits einen Patienten mit diesem Syndrom in Behandlung bzw Beobachtung hat. Die Ergebnisse  der Blutuntersuchung kamen dann im Januar 2014 und haben Ihre Vermutung bestätigt.
Also seid 1,5 Jahren haben wir endlich einen Namen für den Gendefekt."

Nadine: "Kannst du genau erklären was das ist?"

Maria: "Das Shprintzen Goldberg Syndrom ist ein sehr komplexes Fehlbildungssyndrom.
Auffällig die die Craniofazialen Fehlbildungen, die durch Craniosynostosen hervorgerufen werden. Einfach: die normalerweise offenen Schädelnähte schließen sich viel zu früh , teilweise schon in der Schwangerschaft. Dies führt zu Fehlbildungen im Gesicht und oft auch zu einem Hydrozephalus (Wasserkopf). Oft geht eine Pierre Robin Sequenz einher, genausowie diverse knöchernen Fehlbildungen, Arachnodaktylie, Rumpfhypotonie, geistige Retardierung, außerdem neigen diese Kinder wegen Ihres schwachen Bindegewebes zu Hernien.
Oft kommen auch noch Herzprobleme hinzu.
Bei Rosalie hat sich die hintere Schädelnäht viel zu früh verschlossen. Dadurch ist der Hinterkopf nicht weiter gewachsen und blieb ganz flach. Das hat Hirndruck fabriziert. In einer 8 stündigen OP wurde Rosalie mit 9 Monaten das erste Mal operiert und die Ärzte haben Ihr einen neuen Hinterkopf modelliert.
Die Pierre Robin Sequenz ist eine Rücklage eines viel zu kleinen Unterkiefers, ein fliehendes Kinn würde man auch sagen. Dass hat Ihr anfangs die Atmung sehr schwer gemacht und auch das Essen, wobei dass bis heute noch nicht selbst erfolgt.
Die Arachnodaktylie, auch spinnengliedrigkeit genannt, bringt lange Finger und Zehen mit sich. Die Rumpfhypotonie bei Rosi macht es Ihr sehr schwer Körperspannung aufzubauen, um z.B. den Kopf gerade zu halten. Sie hat mit 3,5 Jahre es das erste Mal geschafft sich selbst hinzusetzen :-) ansonsten rollt sie über den Boden. Außerdem hat Rosalie viele knöcherne Fehlbildungen. So hat sie keine Kniescheiben, dafür aber ein Rippenpaar mehr. Sie hatte bereits eine Nabel und eine Zwerchfellhernie, welche operativ verschlossen wurden.
Was uns momentan die meisten Sorgen macht ist Rosis Nacken, da die ersten beiden Halswirbel kaputt sind und Ihr ein Genickbruch droht bei einer falschen Bewegung.
Leider gibt es viele verschiedene Baustellen bei diesen Kindern..."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 


Nadine: "Wie war die Zeit nach der Geburt?"


Maria: "Die Zeit nach der Geburt war anstrengend. Die Angst vorallem die ich hatte, es meinen Eltern zu sagen und meinen beiden anderen Töchtern. Ich rief meinen Bruder an, der Arzt ist und bat Ihn zu meinen Eltern zu fahren um meiner Mutter von Rosalie zu erzählen. Ich hatte Angst es ihr zu sagen, da ich dachte sie kriegt einen Herzinfarkt. Die ist schon über 70 und Herzkrank. Meine Mutter kam einen Tag später mit meinem Vater in die Klinik und hat sich sofort in den kleinen Wurm verliebt. Genau wie Ihre Schwestern, die trotz mehr Schläuchen als Baby, Rosalie sofort in ihre Herzen geschlossen haben.
Rosalie lag 7 Wochen auf der Neo in Witten. Dort wusste man leider nicht viel mit Ihr anzufangen. Man hat ihr beim Atmen geholfen, sie über eine Magensonde ernährt und das wars. Nach 6 Wochen des dahin vegetierens habe ich begonnen zu googlen und zwar nach der einzigen Diagnose die wir bis dato kannten und zwar nach der Pierre Robin Sequenz und ich fand heraus, dass es in Tübingen Hilfe gibt. Ich nahm also Kontakt mit Tübingen auf und innerhalb einer Woche wurde Rosalie dorthin verlegt. Dort hat man Ihr eine besondere Gaumenplatte mit Sporn angefertigt, die zum einen die Gaumenspalte geschlossen hat und zum einen hielt der Sporn Rosalies Zunge vorn und hat es ihr ermöglicht selbstständig zu atmen!
Von dem Moment ging es eigentlich stetig bergauf mit Rosalie."

Nadine: "Mit welchen Einschränkugen müsst ihr klarkommen und was wird auf euch zukommen?

Maria: "Rosalie kann rollen und mit Ihrem Walker (Gehhilfe) auch ein paar Metet laufen. Sie sitzt mittlerweile auch völlig allein.
Sie lautiert fröhlich und kriegt, sofern sie Lust hat auch erste Worte raus.
Geistig ist sie voll da, liebt es Blödsinn zu machen und zu flirten.
Essen könnte sie selbstständig, aber wegen einer psychischen Blockade verweigert sie alles:-( wir glauben aber noch fest daran , dass sie irgendwann selbst auf den Geschmack kommt ;-)
Ich schreibe nicht gerne was sie nicht kann, denn das klingt immer negativ. Lieber erzähle ich von den Dingen die sie gelernt und sich erkämpft hat.
Was noch kommen wird ist schwer zu sagen. In einem Gespräch mit Dr. Shprintzen, habe ich erfahren, dass es momentan wohl weniger wie 50 bekannte und bestätigte Fälle weltweit gibt und das seit 30 Jahren. Da ist es schwer zu sagen was kommt und was nicht.
Bis vor einiger Zeit sagte man, die Kinder haben eine Lebenserwartung von Ca 10 Jahren. Heute weiß man es gibt auch ältere und Rosalie wird die älteste von allen werden 😜!"


Nadine: "Gibt es Behandlungsmöglichkeiten?"

Maria: "Man kann im Grunde nur einzelne Symptome behandeln, wie zB den Hirndruck oder die Hernien."


Nadine: "Wie ist euer Familienleben und welche Rolle spielt der Gendefekt dabei?"

Maria: "Wir sind eine ganz normale Familie. Rosalie ist Rosalie und ist das Nesthäckchen:-)
Sie ist ja nunmal auch die Jüngste. Doch versuchen wir Normalität zu leben, wobei was ist schon normal ;-)"

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




Nadine: "Wie geht euer Umfeld mit euch um?"

Maria: "Sagen wir mal so einige Freunde sind gegangen, aber die die geblieben sind, reichen uns voll und ganz:-) denn das sind die wahren Freunde!  Außerdem kommen Neue hinzu. Durch das WWW konnte ich Kontakt zu betroffenen Familien aufnehmen und mich austauschen. Das gibt einem oft viel Kraft."

Nadine: "Wie verbringt ihr Freizeit?"

Maria: "Ganz normal wie andere Familien auch:-)
Heute war es heiß und wir gingen alle im Pool ab:-)
Diese Woche geht es nochmal mit allen in den ZOO.
Wir besuchen oft Freunde, oder haben auch oft Besuch. Eigentlich ist alles stinknormal:-)"


Nadine: "Was wünscht ihr euch für die Zukunft?"

Maria: "Dass wir ALLE gesund bleiben, denn das ist das Kostbarste was es gibt, die Gesundheit!
Naja und einmal andere Goldberg Shprintzen Kinder treffen! Das wäre superkaligrafilistigexpialegetisch!!!"

 

 

"Vielen Dank für das Interview und die vielen Fotos, Maria! Du bist eine super starke Mama! Mach weiter so und sei stolz auf dich! Von unsere Seite alles alles Gute für dich und deine Familie!"

Eine ganz normale Familie, ... was ist denn schon "normal"?

Die großen Mädchen schlossen ihre kleine Schwester sofort ins Herz!

Die Kleine musste nach der Geburt gbeatmet werden

So eine stolze große Schwester!

Die Gaumenspalte musste behandelt werden.

Heute stellen wir euch Melina vor, sie ist 10 Jahre alt.

Mit Rollen kommt Rosalie gut voran!

Ein fröhliches kleines Mädchen, dass gern auch mal Quatsch mag!

An einem Laufwagen werden die ersten Schritte geübt!

Wir drücken die Daumen, dass bald auf die Magensonde verzichtet werden kann!

Heute stellen wir euch Melina vor, sie ist 10 Jahre alt.

PWS Day – Still hungry for a cure!

Anlässlich des “PWS Days” möchten wir unsere Interviewreihe mit genau diesem Gendefekt starten.

Melina ist 10 Jahre und kam mit dem Prader-Willi-Syndrom zur Welt. Sie lebt bei Ihrer Familie, Mutter Sabrina, Vater Michael und ihrer kleinen Schwester Sarah.
Ihre Mama Sabrina hat uns einige Fragen zu ihrer Diagnose und zu ihrem Alltag mit dem PWS beantwortet.
Hier könnt ihr lesen wie sie und ihre Familie einen guten Weg gefunden haben damit zu leben und vor allem das Leben trotz aller Schwierigkeiten zu genießen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Miriam: „Hallo Sabrina, schön, dass du Zeit gefunden hast an unserer Interviewreihe mitzumachen. Eure große Tochter Melina kam mit dem Prader-Willi-Syndrom zur Welt.
Kannst du genau erklären was das ist?“


Sabrina: “Das Prader-Willi-Syndrom betrifft eines von ca. 10.000 Neugeborenen. Es wird angenommen das es weltweit 350.000 Menschen mit PWS gibt. PWS entsteht durch eine spontane (zufällige) Mutation (Veränderung) des Erbgutes und kann somit jeden treffen. Kindern mit Prader-Willi-Syndrom fehlt immer eine Information des väterlichen Chromosom 15. Entweder ist dort eine kleine Lücke (Mikrodeletion) oder sie haben zwei Chromosomen 15 von der Mutter und keines vom Vater geerbt (uniparentale Disomie 15). Die dritte und sehr seltene Möglichkeit ist ein Prägungsfehler dieses Chromosom (Imprinting Mutation). Bei Melina fehlt ein kleines Stück des väterlichen Chromosom 15.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Miriam: „Was sind denn die Hauptmerkmale für das Prader-Willi-Syndrom?“


Sabrina zählt auf:
• Hauptmerkmale für das  Prader-Willi-Syndrom sind u.a. Ernährungsschwierigkeiten und Muskelschwäche im Neugeborenenalter
• Unterschiedliche motorische und intellektuelle Verzögerung
• Fehlendes Sättigungsgefühl kann zu massiven Übergewicht führen
• Trägheit und Bewegungsmangel
• gering ausgeprägte Muskulatur, bzw. Muskelschwäche
• unterentwickelte Geschlechtsteile
• Wachstumsstörungen bei Kindern
• Sprech- und Sprachprobleme Verhaltensprobleme



Miriam: „Gibt es Behandlungsmöglichkeiten?“


Sabrina: „Das PWS ist nicht heilbar, man kann nur symptomatisch behandeln. Krankengymnastik hilft, den Muskeltonus zu verbessern und der schlaffen Muskulatur entgegen zu wirken. Melina bekommt seit kurz nach der Geburt Krankengymnastik, zwei mal die Woche. Als Kleinkind mussten wir 3x täglich zusätzlich zu Hause gezeigte Übungen mit ihr machen. Diese Übungen zogen sich hin bis sie mit einem Alter von 13 Monaten krabbeln konnte. Logopädie unterstützt die Sprechfähigkeit. Die Sprachentwicklung begann bei Melina so richtig erst mit 4 Jahren. Noch heute mit 10 Jahren ist sie gleichaltrigen Kindern weit hinterher. Sie hat ein altersentsprechendes Wortverständnis - spricht aber selber nur 4 - 5 Wortsätze in leichter Form. Sie ist soweit, dass sie auch außenstehenden ihre Wünsche und Bedürfnisse mitteilen kann, so dass auch diese sie verstehen können.
Augenprobleme bedürfen meist einer augenärztlichen Behandlung. Die Sehfähigkeit sollte regelmäßig kontrolliert werden. Melina trägt seit ihrem 3. Geburtstag eine Brille. Und das linke Auge wird täglich für 2 Stunden abgeklebt um die Muskeln im nun sehenden Auge zu trainieren. Manchmal entwickelt sich beim Prader-Willi-Syndrom im weiteren Verlauf eine Wirbelsäulenverkrümmung, verursacht durch die schwache Muskulatur. Vom 6.-8. Lebensjahr trug Melina aufgrund dessen ein Korsett um ihre Wirbelsäule in die richtige Richtung zu drücken. Dieses zeigte Erfolg. Nun ist nur noch eine halbjährliche Kontrolle nötig. Die Wachstumshormonbehandlung wird zum einem gemacht um die fehlenden Wachstumshormone auszugleichen die bei vielen Kindern mit PWS zu niedrig sind. Und zum anderem um ein verbessertes Verhältnis zwischen Fett und Muskelmassen zu bekommen. Die Kinder werden auch meisten etwas agiler dadurch und bewegen sich mehr. Zur Behandlung gehört noch eine halbjährlich Untersuchung in einer Klinik des Vertrauens. Hier werden Größe, Gewicht, EKG, Herzecho und verschiedene Blutuntersuchungen gemacht sowie ein Glycosetolleranztest. Die Kinder müssen geistig gefördert werden, eventuell ist der Besuch spezieller Förderschulen nötig. Melina besucht zur Zeit die 4 Klasse unserer Grundschule im Ort. Sie hat an ihrer Seite eine Schulassistenz und wird nach einem für sie abgestimmten Lehrplan unterrichtet. Was der Wechsel zur 5 Klasse angeht sind wir noch nicht ganz schlüssig was wir machen werden.“

 



Miriam: „Wie ist euer Familienleben und welche Rolle spielt das Essen dabei?“


Sabrina: „Melina ist das erste von zwei Kindern. Also eine große Schwester. Melinas Papa Michael fährt zur See, und ist somit unregelmäßig zu Hause. Melina hatte früher viele Schwierigkeiten Hilfe von ihm anzunehmen. Ob es bei etwas zu trinken einschenken oder anziehen war. Alles sollte am besten die Mama machen, sonst gab es Gebrüll. Dieses hat sich mit zu nehmenden Alter zum Glück geändert. Melina ist weiterhin in einigen Dingen sehr speziell. Beim Essen zu Hause ist es ihr wichtig das sie immer das Besteck mit den blauen Griffen hat. Wenn es einmal nicht da liegt stimmt etwas für sie nicht und sie bekommt Wutanfälle die ziemlich laut werden können. Melina hat für einige Abläufe im Alltag genaue Reihenfolgen, kommen diese durcheinander reagiert sie oft wütend aus Überforderung weil sie so nicht weiß wie sie weiter machen soll. Mit dem Essen läuft es ganz gut zur Zeit. Sie hält sich an Anweisung und Mengenangaben. Jedoch wenn sie unbeobachtet ist, nutzt sie die Gelegenheit und nimmt sich was sie bekommen kann, z. B. Rohe Eier, TK-Kost. Daher haben wir die Küche immer abgeschlossen um ihr das Verlangen nach Essen nicht noch schwieriger zu machen. Nun weiß sie das dort nicht mehr die Chance besteht hinein zukommen. Das Verhältnis zu ihrer Schwester ist würde ich sagen wie bei allen Geschwistern auch. Sie lieben sich und streiten sich. Spielen zusammen oder tun so als ob der andere noch nie mitspielen durfte. Die kleine Schwester Sarah, jetzt 8 Jahre, hat Melina schon in vielen Dingen eingeholt. Aber trotzdem helfen Sie sich auch immer wieder gegenseitig. Würde also sagen wir sind eine fast ganz normale Familie.“

 

 


Miriam: „Wie geht euer Umfeld mit euch und Melinas Gendefekt um?“


Sabrina: „Soweit wir es bisher erlebt haben geht das Umfeld so gut wie normal mit ihr um. Keiner hat Berührungsangst oder ähnliches . Bekannte und Freunde wissen das für uns das Thema Essen sehr wichtig ist. Und versuchen sich bei uns abzusichern wie das mit dem Essen für Melina ok ist.“

 



Miriam: „Gibt es deutschlandweit Anlaufstellen für euch? Sowohl für die medizinische, als auch für die emotionale Hilfe?“


Sabrina: „Als wir die Diagnose erhalten haben sind wir im Internet auf die Vereinigung (Prader-Willi-Syndrom.de) aufmerksam geworden. Die uns mit vielen Tipps und aufmunternden Worten bei Stand. Bei einem Familientreffen durch die Vereinigung haben wir Kontakt zu Fr. Dr. Lämmer aufnehmen können. Sie ist eine Ärztin die sich auf das Prader-Willi-Syndrom spezialisiert hat. Nun sind wir alle 6 Monate in Hildesheim bei ihr in der Kinderklinik zu Kontrolluntersuchungen. Können bei ihr alle angesammelten Fragen los werden und fühlen uns dort sehr gut betreut.“

 



Miriam: „Wie verbringt Melina ihr Freizeit?“


Sabrina: „Melina liebt es zu malen und Loombänder zu machen. Damit kann sie sich sehr lange beschäftigen. Lesen ist auch eine große Leidenschaft von ihr. Wie viel sie von ihren Büchern versteht habe ich noch nicht heraus bekommen. Aber Hauptsache sie übt das lesen. Den Umgang mit ihrem Tablet fällt ihr auch leicht und macht ihr viel Freude. Dann geht sie in einen Schwimmverein und einmal die Woche zu ihren Pferden zum Reiten. Sie ist froh einfach nur dabei sein zu können.“

 

 


Miriam: „Was wünscht ihr euch für die Zukunft?“


Sabrina: „Wir wünschen uns als Eltern für Melina eine sorgenfreie und sichere Zukunft. Das sie glücklich ist und ein Leben führt das ihr gefällt. Natürlich auch Freunde und Familie die sie immer lieben und auf sie acht geben.“

 



Einen ganz herzlichen Dank an Sabrina für dieses Interview und die Vorstellung ihrer Familie!
Wir wünschen ihr alles alles Gute für die Zukunft der gesamten Familie und wir hoffen, dass es viel mehr Familien gibt die trotz solcher Schicksalsschläge neuen Mut im Leben finden und glücklich und zufrieden in die Zukunft blicken.

 

 

"Eine fast ganz normale Familie!"

Krankenhausaufenthalte, Arzt – und Therapiebesuche gehören gerade in dem ersten Jahr zum Standartprogramm bei Betroffenen.

Viel Bewegung an der frischen Luft und Sport sind wichtige Bestandteile im Leben von Betroffenen mit PWS.

Melina und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Sarah.

bottom of page